Steinbrück spricht Klartext bei der Vorstellung eines Gesetzentwurfs – Und rechtfertigt eine mögliche Verstaatlichung der Hypo Real Estate

Vor dem Deutschen Bundestag hielt der Bundesfinanzminister heute eine sehr spannende und auch eindeutige Rede, die wir Ihnen nicht vorenthalten wollen. Auch wenn so manche Bundestagsrede langweilig sein mag, diese Steinbrück-Rede war es garantiert nicht. Vor allem, weil sie auch eine klare Ansage in Richtung des HRE-Hauptinvestors JC Flowers war – ohne diesen jedoch bei Namen zu nennen. Eine spannende Rede und ein kämpferischer Finanzminister.

Die ganze Rede im Wortlaut:

„Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Leider ist festzustellen, dass die schlechten Nachrichten von den weltweiten Finanzmärkten nicht abreißen. Sie verfolgen genauso wie ich die Entwicklung in den USA insbesondere mit Blick auf den größten Kreditversicherer der Welt.

Allein der größte Kreditversicherer der Welt hat im letzten Quartal ein Minus von 62 Milliarden US-Dollar gemacht. Auch die Situation des Bankenwesens in Großbritannien ist nach wie vor sehr angespannt. Wir haben es auch mit deutschen Banken zu tun, die in ihren Abschlüssen Verluste von bis zu 6,3 Milliarden Euro siehe Dresdner Bank zu verzeichnen haben. Wir haben es bei den Kreditinstituten mit einer Aktienkursentwicklung zu tun, die die Börsenkapitalisierung dieser Kreditinstitute auf bemerkenswerte, unglaublich niedrige Werte zusammenschrumpfen lässt.

Das zeigt zweierlei:

Erstens. Die Schockwellen, die von den weltweiten Entwicklungen auf den Finanzmärkten ausgehen, haben nichts von ihrer Intensität und Gefährlichkeit verloren. Wer angesichts des nach wie vor drohenden Organversagens bei den Finanzmärkten und der dahinterstehenden Finanzmarktkrise so tut, als hätte dies in den nächsten Jahren nicht sehr weitreichende, ich behaupte sogar epochale Auswirkungen auf die Entwicklung, der macht sich und vielen anderen etwas vor.

Zweitens. Wir haben es nach wie vor mit einem ungelösten Problem zu tun; daran ändert auch die Aufforderung, man möge es schnell lösen, nichts. Das sind die sogenannten Schrottpapiere in den Bilanzen. Für das Problem hat bisher weltweit kein einziges Land eine Lösung, weil zunächst das Kernproblem gelöst werden muss. Auch wenn wir der Aufforderung, das Problem so schnell wie möglich vielleicht im Sinne einer Vorlage über Bad Banks zu lösen, nachkommen würden, würde das an diesem konstitutiv schwierigen Problem gar nichts ändern. Es sei denn, der Deutsche Bundestag ist mit Ihrer Unterstützung bereit, die Kapitalisierung solcher Bad Banks mit öffentlichem Geld, mit Steuerzahlergeld, zu unterlegen.
In dieser äußerst prekären Situation ist es uns gelungen, den deutschen Finanzmarkt zumindest so weit zu stabilisieren, dass nach dem Fall von Lehman Brothers kein systemrelevantes Institut andere Institute aufgrund eines Dominosteineffekts mit heruntergerissen hat.

Es ist freimütig, zu gestehen, dass damit verbundene Hoffnungen auf eine Revitalisierung des Interbankenmarktes nicht eingetreten sind. Wir haben es nach wie vor mit einem erheblichen Vertrauensverlust im Verhältnis der Banken untereinander und zunehmend mit Blick auf die Kreditgewährung gegenüber der Realwirtschaft zu tun. Aber es ist wichtig gewesen, dass die Regierung insbesondere mit der Unterstützung und unter Beteiligung des Deutschen Bundestages seinerzeit im Oktober letzten Jahres in der Lage gewesen ist, Handlungsfähigkeit zu belegen. Mit dem Finanzmarkstabilisierungsgesetz ist etwas verabschiedet worden, für das wir außerhalb, aber auch innerhalb Deutschlands durchaus Anerkennung im Sinne eines guten Krisenmanagements gefunden haben.

Allerdings hat sich in den letzten Monaten an der einen oder anderen Stelle die Notwendigkeit gezeigt, dieses Finanzmarktstabilisierungsgesetz zu ergänzen, damit die ergriffenen Stabilisierungsmaßnahmen schneller und sicherer greifen können. Ich will aus Zeitgründen nicht auf die Einzelheiten eingehen, bei denen es insbesondere um gesellschaftsrechtliche Veränderungen geht, sondern sehr schnell in medias res springen mit Blick auf den Kern dieses Artikelgesetzes, der ja Gegenstand das ist nachvollziehbar sehr grundsätzlicher Debatten in Deutschland ist. Es handelt sich um das sogenannte Rettungsübernahmegesetz, das in einer bestimmten Abfolge als letzte Option, als Ultima Ratio von mir aus als Ultissima Ratio , die Enteignung bestimmter Kreditinstitute im Sinne einer Legalenteignung von uns sehr stark fokussiert im Wege der Rechtsverordnungen vorsieht.

Meine Bitte ist, diese Möglichkeit nicht so grundsätzlich und nicht so prinzipienorientiert zu debattieren, dass pragmatische und problemadäquate Lösungen verbaut werden. Wir beschreiten damit keinen deutschen Sonderweg, sondern wir müssen Erfahrungen heranziehen das tun wir auch , die längst in anderen Ländern gemacht worden sind. Mich erstaunt gelegentlich in den sehr grundsätzlich gehaltenen ordnungspolitischen Debatten, dass ausgerechnet die angloamerikanischen Ländern, die uns bisher in diesen ordnungspolitischen Debatten gelegentlich wie eine Monstranz vorgehalten worden sind mit Blick auf Staatsferne, Deregulierung der Beschreibung, dass Politik sich im Wesentliches aus allem herauszuhalten hat, sehr schnell als erste den Weg von Verstaatlichung und Enteignung gegangen sind.

Ich kann mich nicht erinnern, dass es in Deutschland irgendeine Aufmerksamkeit geweckt hat, als die Briten sehr schnell Northern Rock oder ein Institut wie Bradford & Bingley verstaatlicht haben. Ich kann mich nicht erinnern, dass es in Deutschland, auch nicht der gesamten Bandbreite dieses Parlamentes, eines besonderen Hinweises bedurft hat, als die Amerikaner sie nennen es Conservatorship bei Fannie Mae, bei Freddie Mac und bei AIG einen ähnlichen Weg gegangen sind. Deshalb sehe ich nicht ein, warum in Deutschland die Möglichkeit, diesen Weg zu gehen, plötzlich als etwas Exzeptionelles debattiert wird, das in anderen Ländern offenbar als notwendig und problemadäquat beschrieben wird.

Wir beschreiten keinen Sonderweg. Niemand aufseiten der Regierung, niemand aufseiten der Koalitionsfraktionen verbindet mit dieser letzten Möglichkeit die Vorstellung, das Modell der sozialen Marktwirtschaft zu erschüttern oder auszuhöhlen.

Umgekehrt gilt: Wenn der Bund keine einzige Stimme, keine einzige Einflussmöglichkeit, keine einzige Aktie in einem Kreditinstitut hat, aber inzwischen 87 Milliarden Euro öffentliche Gelder als Garantien gibt, ist in meinen Augen irgendwann der Zeitpunkt gekommen, wo der Bund, die öffentliche Hand im Interesse des Steuerzahlers, im Interesse des Haushaltes eine Kontrollmehrheit zwingend erwerben muss, es sei denn, jemand plädiert dafür, den bisherigen Weg ad infinitum fortzusetzen, der da lautet: In regelmäßigen Abständen werden diese Garantiesummen von im Augenblick 87 Milliarden Euro auf 97 Milliarden Euro auf 107 Milliarden Euro auf 117 Milliarden Euro und weiter permanent erhöht, ohne dass erkennbar ist, dass dieses Institut auf Dauer vor der Insolvenz bewahrt werden kann. Dieses Institut gerät in die Gefahr einer Insolvenz. Dies hat einen besonderen Stellenwert, nicht weil sich das jemand im Bundesfinanzministerium oder aufseiten der Bundesregierung ausdenkt, sondern die kundigen Thebaner und Thebanerinnen von der Bundesbank, von der BaFin und im gesamten deutschen Kreditwesen, die Sie fragen können, sind davon überzeugt, dass dieses Institut eine sogenannte Systemrelevanz hat. Warum? Weil es mit anderen Kreditinstituten derartig vernetzt sind, dass ein Zusammenbruch oder, um es weniger dramatisch zu beschreiben, eine Insolvenz automatisch Folgen für das gesamte deutsche Kreditwesen hätte, und zwar über die Grenzen der Bundesrepublik Deutschland hinaus und in einem Ausmaß fast wie bei Lehman Brothers, wie einige sagen.

Die Bilanzsumme dieses Unternehmens ist fast identisch mit dem Betrag, der die Probleme bei Lehman Brothers verursacht hat. Im Übrigen spielt dieses Institut auf dem Pfandbriefmarkt eine eminent wichtige Rolle. Mit Blick auf die Sicherheit gerade dieses Produkts in der breiten Wahrnehmung der Bevölkerung hätte es einen besonderen Stellenwert, wenn dieses Institut als einer der wichtigsten Marktteilnehmer bzw. Marktpartner auf dem Pfandbriefmarkt in große Verlegenheit geraten würde.

Meine Damen und Herren, die Begründung, warum wir einen solch weitreichenden Schritt nicht ausschließen, wird im Wesentlichen von folgenden Gründen getragen:

Dieses Institut muss restrukturiert werden. Ich will mich im Augenblick nicht, erst recht nicht öffentlich, auf Details einlassen, wie es beispielsweise um die Kernkapitalquote dieses Instituts bestellt ist. Wenn es aber bei dieser Kernkapitalquote bleibt oder wenn diese Kernkapitalquote in Anbetracht nicht beeinflussbarer Marktentwicklungen weiter aufgefressen wird, dann kommen wir eines Tages, eher früher als später, in die Verlegenheit, dass die Existenzfähigkeit dieses Instituts hochgradig gefährdet ist.

Wir müssen mithilfe einer Kontrollmehrheit dafür Sorge tragen, dass die Restrukturierungsmaßnahmen bei hoher Transaktionssicherheit gelingen. Das bedeutet, dass die öffentliche Hand eine solche Einflussmöglichkeit braucht. Jetzt werden einige sagen: Dafür reichen 75 Prozent plus eine Aktie.
Im Hinblick auf die nächsten beiden Maßnahmen, die zwingend notwendig sind, reichen diese 75 Prozent plus eine Aktie aber nicht: Wir müssen dieses Institut an den Finanzierungskonditionen des Bundes teilhaben lassen; dafür reichen 75,1 Prozent nicht. Auch mit Blick auf die Eigenkapitalbedingungen, die ein in der Größenordnung von 90, 95 oder 100 Prozent im öffentlichen Eigentum stehendes Institut in Anspruch nehmen kann, reichen 75,1 Prozent nicht.

Das heißt, mit Blick auf die Refinanzierungskonditionen, die Teilhabe an der Bonität des Bundes, und die Eigenkapitalunterlegung reichen 75,1 Prozent definitiv nicht. Wenn Sie mir das nicht glauben, wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie sich bei denjenigen, die sich sehr professionell und sehr intensiv mit diesen Fragen beschäftigen, mit den notwendigen Informationen versorgen würden.

Sie alle wissen, dass in diesem Gesetzentwurf, in diesem Teil des Artikelgesetzes, eine bestimmte Stufenabfolge vorgesehen ist; sie wird eingehalten. Sie alle wissen auch, dass wir das Ganze einer zeitlichen Befristung unterwerfen, um jeden Verdacht, dass hier eine Art Durchgriffsregelung getroffen wird, zu beseitigen. Ich bitte aber um Verständnis für meine Position, die da lautet: Ein Bundesfinanzminister kann nicht von Ihnen die Verantwortung übertragen bekommen, die Probleme eines Finanzinstituts zu lösen, wenn Sie ihm nicht den Handwerkskasten zur Verfügung stellen, den er dafür braucht.

Auf diesem Weg werden wir alle vorgeschalteten Stufen beachten. Das heißt, wenn dieser Gesetzentwurf in der zweiten Lesung von Ihnen und Anfang April dieses Jahres im zweiten Durchgang im Bundesrat verabschiedet worden ist, dann wird versucht, auf der Hauptversammlung des Unternehmens eine Kapitalerhöhung und einen Kapitalschnitt durchzusetzen. Wenn es auf dieser Hauptversammlung aber keine Mehrheit dafür gibt oder wenn ein entsprechender mehrheitlich gefasster Beschluss der Hauptversammlung nicht rechtzeitig ins Handelsregister eingetragen werden kann, sodass die nach wie vor labile Situation dieses Instituts noch lange fortdauert, möglicherweise bis in den Frühsommer dieses Jahres, dann ist nicht ausgeschlossen, dass von der Enteignungsoption Gebrauch gemacht wird.

Meine Damen und Herren, ich weiß, dass diese Debatte verständlicherweise zu sehr grundsätzlichen Betrachtungen führt. Lassen Sie mich deshalb abschließend zwei, drei grundsätzliche Bemerkungen machen. Wenn der Wert eines Unternehmens auf nahezu null sinkt die Börsenkapitalisierung dieses Unternehmens ist inzwischen auf ein bemerkenswert niedriges Niveau von 250 bis 280 Millionen Euro gesunken , dann müssen zuerst die Kapitalgeber zur Verantwortung gezogen werden, nicht die öffentliche Hand.

Es ist nicht nur mit der Marktwirtschaft vereinbar, sondern es ist sogar geboten, die Kapitalgeber als Erste an dieser Operation zu beteiligen. Das ist Marktwirtschaft. Das gilt für andere genauso.

Anders ausgedrückt um meinen ordnungspolitischen Standpunkt in dieser Sache klarzumachen : Es kann nicht und darf nicht Aufgabe des Staates sein, Eigentümer zu retten, deren Unternehmen de facto in die Insolvenz gehen.

Wie Sie wissen, repräsentiert ein Aktionär einen größeren Anteil an der HRE, während sich der weit überwiegende Anteil im Streubesitz befindet. Es gibt Avancen bei diesem Aktionär, sich zu beteiligen, wenn öffentliches Geld bereitgestellt wird, um die Schritte zu ermöglichen, die wir für notwendig halten, allerdings mit Preisvorstellungen, die um das Zwei- bis Dreifache höher sein können als der augenblickliche Börsenwert der HRE. Können Sie sich vorstellen, dass ich mit so einem Vorschlag an dieses Pult trete? Ich werde es nicht machen.

Im Übrigen: Bei einem so hohen Einsatz öffentlicher Mittel und öffentlicher Garantien bei denen wir aufpassen müssen, dass sie nicht fällig werden hat der Staat die Aufgabe, dafür Sorge zu tragen, dass nicht die Steuerzahler enteignet werden. Das ist mein letzter ordnungspolitischer Hinweis.“

(Quelle der Bundestagsrede: Bundesfinanzministerium)